Kategorie Erfolgsgeschichte Gesundheit

VdK erkämpft Stammzelltherapie für MS-Patienten

Von: Jörg Ciszewski

Das Sozialgericht Schwerin verpflichtet die Krankenkasse per Einzelfallentscheidung, die Kosten für die Behandlung zu übernehmen. 

Ein Patient bei einer Stammzellentransplantation, hier in einem Krankenhaus in Essen, NRW. Die Person liegt im Bett in einem Krankenhauszimmer und hat einen Zugang im Arm.
© IMAGO / Rupert Oberhäuser

Facharzt empfiehlt autologe Stammzelltransplantation

Stephan F. leidet seit fast 17 Jahren an Multipler Sklerose (MS). In den vergangenen Jahren hat die tückische Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems seinen Gesundheitszustand verschlechtert. Weil keine Standardbehandlung wirkte, erstritt der VdK Mecklenburg-Vorpommern für sein Mitglied eine Stammzelltherapie (Az. S 25 KR 44/22 ER).

Im Sommer 2021 konnte Stephan F. nur noch kurze Strecken ohne Gehhilfe laufen. Der 37-Jährige, der von einer Erwerbsminderungsrente lebt, war verzweifelt. Ihm drohten der Rollstuhl und Pflegebedürftigkeit. In dieser Situation empfahl sein behandelnder Facharzt, ein ausgewiesener Experte für die Behandlung von MS, dem zweifachen Vater eine autologe Stammzelltransplantation –  das heißt mit körpereigenen Zellen. Diese Therapie stammt aus der Krebsmedizin. Dabei entnimmt der Arzt dem Patienten Blutstammzellen, die eingefroren werden, bevor mit einer Chemotherapie die durch die MS fehlgeleiteten Immunzellen zerstört werden. Danach erhält der Patient die eigenen Stammzellen zurück, wodurch ein neues Blut- und Immunsystem aufgebaut werden kann.

Krankenkasse lehnt ab

Weil diese Therapie zur Behandlung von MS in Deutschland eine sogenannte neue Behandlungsmethode ist, die nicht mit der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden kann, lehnte seine Krankenkasse die Kostenübernahme ab. Es läge keine lebensbedrohliche oder notstandsähnliche Situation vor, die eine Kostenübernahme rechtfertige, hieß es. Außerdem sei ein Behandlungserfolg ungewiss. Das VdK-Mitglied legte dagegen Widerspruch ein. Sein Arzt machte gegenüber der Krankenkasse deutlich, dass die Therapien mit den zugelassenen Standard-Medikamenten entweder erfolglos waren oder zu risikobehaftet beziehungsweise zu langwierig sind. Weil die Krankheit voranschreite, schließe sich das Zeitfenster für eine Stammzelltherapie langsam. Es bestehe Eilbedürftigkeit. 

Der Mediziner wies darauf hin, dass in anderen europäischen Ländern die Stammzelltherapie für MS-Patienten von den Krankenkassen übernommen werde. Dafür würden in Deutschland zwar noch entsprechende Studien fehlen, doch aus dem Ausland gebe es eindeutige Ergebnisse zur guten Wirksamkeit der Therapie.

Nachdem die Krankenkasse aufgrund eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes (MDkurz fürMedizinischer Dienst) auch den Widerspruch ablehnte, klagte Stephan F. mit Unterstützung der VdK-Juristin Ramona Scheel vor dem Sozialgericht Schwerin. Um die Entscheidung zu beschleunigen, beantragte der VdK im April 2022 eine einstweilige Anordnung zur Kostenübernahme. 

Richterin entscheidet: Kasse muss Kosten tragen

Als das Sozialgericht Ende Mai das Urteil verkündete, fiel Stephan F. ein Stein vom Herzen. Per Einzelfallentscheidung beschloss die Richterin, dass die Krankenkasse die Kosten für die Therapie übernehmen muss. In dem Beschluss würdigte das Gericht den Hinweis des behandelnden Arztes, wonach die Kosten von rund 50 000 Euro für die Behandlung in keinem Verhältnis stünden zu den medizinisch-pflegerischen Kosten, die die Krankenkasse für den Patienten aufbringen müsste, wenn diese Therapie ausbleiben würde. 

Das Gericht kritisierte zudem den MDkurz fürMedizinischer Dienst, der sich in seinem Gutachten für die Krankenkasse zu wenig mit dem drohenden Verlust der Gehfähigkeit befasst habe. Außerdem bemängelte die Richterin, dass dem Gutachten nicht zu entnehmen ist, welcher Fachrichtung die Gutachter angehören. 

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Warten auf die Reha

Stephan F. und seine Familie sind dem VdK und Rechtsberaterin Ramona Scheel für die Unterstützung dankbar. Der Mecklenburger konnte sich im Herbst vergangenen Jahres der Stammzelltherapie unterziehen. Nur sehr langsam erholt er sich von der strapaziösen Behandlung und wartet noch auf eine Reha. Er ist weiterhin noch auf Gehhilfen angewiesen. 

„Wer weiß, wie es ihm heute gehen würde, wenn die Krankheit ohne diese Therapie weiter vorangeschritten wäre?“, fragt sich seine Mutter. Sie wünscht sich, dass in Deutschland MS-Patienten schon viel früher nach der Erkrankung die Möglichkeit einer solchen Behandlung erhalten, so wie es in anderen Ländern ist.

Gerade bei jüngeren Menschen gilt laut Deutsche Multiple Sklerose-Gesellschaft die autologe Stammzelltherapie als eine erfolgversprechende Möglichkeit, den Verlauf der Krankheit entscheidend zu beeinflussen und eine schwere Behinderung oder den Tod abzuwenden.