Kategorie Urteil Behinderung Hilfsmittel

Urteil: Hörgerät über Festbetrag hinaus bei etwas besserem Sprachverstehen

Von: juragentur

Ist das Sprachverständnis hörbehinderter Menschen mit einem Hörgerät um fünf Prozent besser als mit zuzahlungsfreien Geräten, kann die Krankenkasse zur Kostenübernahme verpflichtet sein.

Eine junge Frau telefoniert lächelt, sie trägt ein Hörgerät im rechten Ohr
Messbar besseres Sprachverständnis kann eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse für ein Hörgerät begründen, entschied das LSG Berlin-Brandenburg. Allerdings wurde das Urteil zur Revision beim BSG zugelassen. © IMAGO / Westend61

Landessozialgericht urteilt zu Kostenübernahme für Hilfsmittel

Das messbar bessere Sprachverständnis im Alltag, auch bei störenden Umgebungsgeräuschen, stellt dann einen „wesentlichen Gebrauchsvorteil“ dar, so dass die Krankenkasse das Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich gewähren muss, entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 22. Februar 2024 (Aktenzeichen: L 14 KR 129/22). Die Potsdamer Richter ließen allerdings die Revision zum Bundessozialgericht (BSGkurz fürBundessozialgericht) in Kassel zu.

Die hörbehinderte Klägerin hatte bei ihrer Krankenkasse die Versorgung mit dem Hörsystem „KINDuro 3410“ zum Preis von 3.320 Euro beantragt.

Eine Hörgerätetestung hatte ergeben, dass die Frau mit den beidseitigen Hörgeräten im Vergleich zu zuzahlungsfreien Geräten ein um fünf Prozent besseres Sprachverständnis und bei Störschall ein um 2,5 Prozent besseres Sprachverständnis erreicht.

Krankenkasse: Zuzahlungsfreie Geräte ausreichend

Die Krankenkasse lehnte die Versorgung mit dem Hörsystem ab. Ausreichend seien zuzahlungsfreie Hörgeräte zum Festbetrag von 1.483 Euro. Wolle die Klägerin dennoch das gewünschte Hörgerät, müsse sie den Restbetrag von 1.816 Euro selbst tragen. Die Krankenkasse begründete ihre Entscheidung damit, dass die Verbesserung des Sprachverständnisses gegenüber den zuzahlungsfreien Geräten nur sehr gering sei und im Rahmen von Messtoleranzen des normierten Freiburger Sprachtest liege. Ein „wesentlicher Gebrauchsvorteil“ durch das begehrte Hörsystem sei nicht gegeben.

LSG: Ziel ist möglichst vollständiger Behinderungsausgleich

Das LSG sah dies anders und verpflichtete die Krankenkasse, auch den Restbetrag zu zahlen. Grundsätzlich seien Krankenkassen verpflichtet, Behinderungen - hier das Hören - auszugleichen. Es gelte „das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts“. Ziel sei ein möglichst vollständiger Behinderungsausgleich, um hörbehinderten Menschen das Hören und Verstehen auch in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu ermöglichen.

Der Anspruch auf ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich sei „nicht von vornherein auf einen Basisausgleich im Sinne einer Minimalversorgung beschränkt“. Das Hilfsmittel müsse ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfe das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Messbar besseres Sprachverständnis begründet Versorgungsanspruch

Diese Voraussetzungen erfülle die Krankenkasse grundsätzlich mit der Zahlung des Festbetrags. Wenn ein über den Festbetrag hinausgehendes Hörgerät im Alltag aber einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber den preiswerteren Geräten biete, könne die Krankenkasse auch dafür leistungspflichtig sein. Komfortfunktionen oder ein subjektiv besserer Höreindruck begründeten jedoch noch keinen Versorgungsanspruch.

Anders sehe es bei einem messbar besseren Sprachverständnis aus. Ein „wesentlicher Gebrauchsvorteil“ liege bereits bei einem um fünf Prozent besseren Sprachverständnis vor. Es sei hier willkürlich, wenn die Krankenkasse wegen vorgebrachter Messungenauigkeiten das getestete Hörgerät mit den zuzahlungsfreien Hörgeräten gleichsetze. Es sei ebenso möglich, dass das mit dem gewünschten Gerät gemessene Sprachverständnis von fünf Prozent tatsächlich höher sei.