VdK erkämpft vor Gericht höheren Pflegegrad
Die Pflegekasse einer schwerbehinderten Frau zieht alle Register, um der 78-Jährigen den Pflegegrad 3 vorzuenthalten. Erst vor dem Sozialgericht lenkt die Kasse ein, nachdem der VdK einem faulen Kompromiss nicht zugestimmt hatte.
Erhöhung des Pflegegrads abgelehnt
Erika M. leidet seit 40 Jahren an der seltenen Tumorerkrankung Hippel-Lindau-Syndrom, wegen der sie schon viele Male am Rücken und am Kopf operiert werden musste. Chronische Schmerzen am ganzen Körper sind eine Folge davon. Die Berlinerin ist pflegebedürftig und lebt allein. Nach einer weiteren Operation an der Wirbelsäule verschlechterte sich im Frühjahr 2022 ihr Gesundheitszustand.
Seit diesem Eingriff ist sie teilweise querschnittsgelähmt und inkontinent. Deshalb beantragte sie die Höherstufung ihres Pflegegrads von 2 auf 3. Doch die Pflegekasse lehnte ab. Ihr Widerspruch dagegen blieb erfolglos. Daraufhin wandte sie sich verzweifelt an den VdK Berlin-Brandenburg.
VdK Berlin-Brandenburg klagt gegen die Ablehnung
Julia Flint-Ayadi, Leiterin der Rechtsabteilung des Externer Link:VdK Berlin-Brandenburg, war nach dem Gespräch mit Erika M. klar, dass die bisherige pflegerische Versorgung nicht mehr ausreicht. Deshalb klagte sie gegen die Ablehnung. Das Gericht veranlasste eine ärztliche Begutachtung. Aus dem Gutachten ging hervor, dass die Seniorin Beine und Arme kaum noch bewegen kann, deshalb zu Hause häufig stürzt und auch mit den Händen nicht mehr richtig zugreifen kann. Die Frau brauche täglich pflegerische Hilfe, etwa beim An- und Ausziehen sowie beim Kochen und der Wohnungsreinigung.
Der Pflegegrad 3 sei insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil die Patientin aufgrund ihrer Erkrankungen und der persönlichen Situation unter Zukunftsängsten und Depressionen leide. Diese Punkte seien von der Pflegekasse bei der Beurteilung nicht berücksichtigt worden, hätten aber in diesem Umfang schon mindestens seit der Antragstellung vorgelegen, so die Gutachterin.
"Pflegekasse nutzt Notlage rücksichtslos aus"
In ihrer Reaktion darauf stellte die Pflegekasse den Pflegegrad 3 nicht mehr in Frage. Sie schrieb aber, im Nachhinein ließe sich nicht mehr klären, ob die Versicherte schon bei der Beantragung unter Depressionen gelitten habe. Die Pflegekasse schlug deshalb vor, den Pflegegrad 3 nicht mit Wirkung ab Antragstellung (8. Juli 2022) anzuerkennen, sondern erst ab der ärztlichen Begutachtung im Februar 2024 – also 19 Monate später. Damit würde eine Pflegegeld-Nachzahlung in Höhe von 4363 Euro wegfallen. Gleichzeitig erklärte die Kasse, bei einer Ablehnung ihres Vergleichs werde das ärztliche Gutachten langwierig geprüft.
Flint-Ayadi war empört, weil eine Verzögerung des Verfahrens wegen der schlechten pflegerischen Versorgung schwere Auswirkungen auf die Gesundheit der Klägerin gehabt hätte. „Die Pflegekasse wollte rücksichtslos die Notlage unseres Mitglieds ausnutzen und spekulierte, dass die Klägerin auf Pflegeleistungen für die Vergangenheit verzichtet, um nicht noch länger auf eine adäquate Pflege warten zu müssen“
, so Flint-Ayadi rückblickend. Sie kündigte einen Eilantrag an, wenn die Pflegekasse nicht innerhalb einer Woche ein Anerkenntnis abgegen sollte.
Vergleich zugestimmt
Die Krankenkasse stellte sich weiter quer, bis das Gericht einen Vergleich vorschlug, dem beide Seiten zustimmten: Der Pflegegrad 3 wurde schließlich von der Pflegekasse rückwirkend ab Dezember 2022 gewährt. Demzufolge steht der heute 80-Jährigen eine Nachzahlung für den Zeitraum bis April 2024 in Höhe von 3941 Euro zu. Seit Mai dieses Jahres erhält sie mit dem höheren Pflegegrad 573 Euro Pflegegeld, anstatt wie bisher 332 Euro.
Aktenzeichen: S 209 P 391/23