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Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung

Von: Sabine Kohls / Reinhard Gippert

Menschen mit Behinderung haben es trotz Qualifikation oft schwer, einen Arbeitsplatz zu bekommen und zu behalten. Daher hat der Gesetzgeber für sie den besonderen Kündigungsschutz geschaffen. Welche Regeln gelten beim Nachteilsausgleich?

Drei Männer sitzen um einen Tisch in einem Büro, auf dem Tisch steht ein aufgeklapptes Notebook. Der Mann in der Mitte sitzt im Rollstuhl.
© Andi Weiland | Boehringer Ingelheim, Gesellschaftsbilder.de

Fragen & Antworten zum besonderen Kündigungsschutz

Der besondere Kündigungsschutz gilt für schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdBkurz fürGrad der Behinderung) von mindestens 50 und ihnen gleichgestellte Menschen mit einer Behinderung von 30 oder 40 GdBkurz fürGrad der Behinderung. Ziel der Gleichstellung, die bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt wird, ist es, den Arbeitsplatz zu sichern und eine Kündigung zu erschweren. Laut eines aktuellen Urteils des Bundessozialgerichts (Aktenzeichen: B 11 AL 16/13 R) muss dazu der Arbeitsplatz nicht wie bisher "konkret gefährdet" und eine Kündigung zumindest angekündigt worden sein. Für eine Gleichstellung reicht jetzt allein die konkrete Gefährdung des Arbeitsplatzes wegen der Behinderung aus. 

Im Unterschied zu einem schwerbehinderten Arbeitnehmer mit einem GdBkurz fürGrad der Behinderung von mindestens 50 können gleichgestellte Arbeitnehmer übrigens nicht früher in Rente gehen. Auch ihr Urlaubsanspruch erhöht sich nicht.
 

Besonderer Kündigungsschutz bedeutet, dass der Arbeitgeber in der Probezeit noch normal kündigen kann. Besteht das Arbeitsverhältnis jedoch länger als sechs Monate, muss er die Schwerbehindertenvertretung (SBVkurz fürSchwerbehindertenvertretung) und den Betriebsrat/Personalrat informieren und die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Das verschafft sich selbst einen Eindruck von der Situation vor Ort. Es hört dazu den betroffenen Arbeitnehmer, die SBVkurz fürSchwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat an.

Zudem kann es den technischen Beratungsdienst und Arbeitsmediziner hinzuziehen. Es wird geprüft, ob und wie das Beschäftigungsverhältnis erhalten werden kann. Dazu zählen Reha-Maßnahmen gemäß dem Grundsatz "Reha vor Rente" eine behinderungsgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes, die Fortbildung des Arbeitnehmers oder eine erforderliche Arbeitsassistenz.

Kommt es jedoch nicht zu einer Einigung und stimmt das Amt der Kündigung zu, muss diese innerhalb von vier Wochen erfolgen, vorausgesetzt der Betriebsrat ist einverstanden.
 

Durch eine ordentliche (fristgemäße) Kündigung. Ist das Verhalten des Arbeitnehmers der Grund, muss dieser vorher abgemahnt werden. Wer in die Kasse gegriffen hat, kann fristlos (außerordentliche Kündigung) entlassen werden. Bei der außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber sofort innerhalb von zwei Wochen das Integrationsamt informieren. Reagiert dieses nicht innerhalb von vierzehn Tagen, gilt das als Zustimmung zur Kündigung. Bei einer sogenannten Änderungskündigung wird der alte Arbeitsvertrag gekündigt und ein neuer angeboten. Nimmt man diesen nicht an, besteht in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage mit Aussicht auf eine Abfindung.

Das Integrationsamt muss der Kündigung nicht zustimmen, wenn der Arbeitnehmer selbst kündigt, ein einvernehmlicher Aufhebungsvertrag geschlossen wird oder das Arbeitsverhältnis befristet ist.

Bei der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber die Behindertenvertretung im Unternehmen einbeziehen. Er oder sie muss dies aber nicht unverzüglich tun. Auch wenn der Arbeitgeber die Behindertenvertretung später informiert, macht das die Kündigung des schwerbehinderten Beschäftigten nicht unwirksam. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt am 13. Dezember 2018 entschieden (AZ: 1 AZR 378/18).

Personen-, betriebs- und verhaltensbedingte. Personenbedingte sind beispielsweise Fehlzeiten wegen Krankheit, mangelnde Eignung, zu geringe Leistungen sowie Alkohol- und Suchtprobleme. Hier gilt es, mithilfe des Integrationsamtes oder des Reha-Trägers eine Kündigung zu vermeiden.

Entfällt ein Arbeitsplatz betriebsbedingt wegen Rationalisierung oder Betriebseinschränkung, kann versucht werden, den Arbeitnehmer innerhalb des Betriebes oder in einen anderen Betrieb umzusetzen. Für die Ausstattung des Arbeitsplatzes und die Einarbeitung kann der Arbeitgeber finanzielle Hilfen seitens des Integrationsamtes beanspruchen.

Gründe für eine verhaltensbedingte Kündigung sind beispielsweise unentschuldigtes Fehlen, Störung des Betriebsfriedens, verspätete Krankmeldung und Nichtvorlegen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU). Hier werden die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat eingeschaltet. Ganz wichtig: Bei persönlichem Fehlverhalten verliert der besondere Kündigungsschutz seine Schutzwirkung. Bei schweren rechtswidrigen Pflichtverletzungen wie Diebstahl muss der Arbeitgeber nicht abmahnen, sondern kann sofort fristlos entlassen.
 

Hat ein schwerbehinderter Arbeitnehmer derartige Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, dass sie sein Arbeitsverhältnis gefährden können, muss der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass die Probleme frühzeitig beseitigt werden. So kann bei Rückenproblemen beispielsweise ein höhenverstellbarer Schreibtisch auf Kosten des Integrationsamtes eingerichtet werden (§ 84 Abs. 1, SGBkurz fürSozialgesetzbuch IX, Prävention).
 

Laut Paragraph 167, Absatz 2 des Sozialgesetzbuches IX, ist das betriebliche Eingliederungsmanagement Pflicht für jeden Arbeitgeber. Doch viele kennen es bis heute nicht. Das BEM gilt nicht nur für schwerbehinderte Menschen, sondern für alle Arbeitnehmer, die innerhalb der vergangen zwölf Monate am Stück oder mit Unterbrechungen arbeitsunfähig erkrankt waren.

In größeren Firmen gibt es mittlerweile meist ein BEM-Team, in kleineren kann man sich an das Integrationsamt wenden, wenn keine Schwerbehindertenvertretung existiert. Der VdK arbeitet seit Jahrzehnten eng mit den Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben zusammen und bietet hierzu Schulungen und Informationen an.

Erst wenn im Rahmen des BEM alle Möglichkeiten für eine Weiterbeschäftigung ausgelotet worden sind und trotzdem kein positives Ergebnis erzielt werden konnte, ist eine ordentliche Kündigung möglich.

Kündigt der Arbeitgeber ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes, kann der schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung vor dem Arbeitsgericht eine sogenannte Feststellungklage einreichen. Das heißt, dass die Kündigung rechtswidrig ist und das Arbeitsverhältnis wegen fehlender Zustimmung fortbesteht.

Kündigt der Arbeitgeber mit vorheriger Zustimmung, kann der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben. Zusätzlich muss er innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheids Widerspruch beim Integrationsamt einlegen. Der Widerspruch hat allerdings keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, die Kündigung ist gültig und erst dann vom Tisch, wenn der Widerspruchsausschuss sie aufhebt oder zurücknimmt.