Kategorie Aktuelle Meldung Behinderung Gesundheit

Langes Warten auf Karies-Therapie

Von: Kristin Enge

Es gibt eine Versorgungslücke bei der zahnärztlichen Behandlung von Menschen mit schweren Erkrankungen und Behinderungen. Der VdK fordert einen guten, schnellen und barrierefreien Zugang zur Versorgung für alle Patientinnen und Patienten.

Das Foto zeigt einen Operationssaal, in dem gerade jemand unter Vollnarkose eine Zahnbehandlung bekommt. Anwesend sind der behandelnde Arzt Dr. Schilke und sein Team.
Zahn-OP im Krankenhaus unter Vollnarkose: Dr. Reinhard Schilke (links) und sein Team behandeln hier die Zähne eines Patienten. © MHH

Patientin mit Schmetterlingskrankheit

Manche Menschen sind darauf angewiesen, dass ihre Zähne unter Vollnarkose behandelt und sie im Anschluss im Krankenhaus überwacht werden. Doch sie müssen sich mit langen Wartezeiten, Terminverschiebungen und weiten Wegen herumschlagen.

Dr. Reinhard Schilke, Oberarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) berichtet von einer elfjährigen Patientin, die an fast allen Zähnen Karies hatte. Sie konnte in der Zahnarztpraxis vor Ort nicht behandelt werden, weil sie an der Schmetterlingskrankheit Epidermolysis bullosa leidet.

Nur wenige Kliniken in Deutschland kommen in Frage

Ihre Haut ist so empfindlich wie ein Schmetterlingsflügel. Sie hat Wunden, Narben und starke Schmerzen. Ihre Gelenke sind fast unbeweglich. Um die Karies zu versorgen, war eine Vollnarkose erforderlich. Zudem musste sie im Krankenhaus wegen möglicher Komplikationen stationär überwacht werden. Es verging fast ein Jahr, bis sie behandelt werden konnte.

Die MHH ist eine von wenigen Universitätskliniken in Deutschland, die Patientinnen und Patienten wie das elfjährige Mädchen zahnärztlich versorgen und stationär betreuen. Dort werden rund 100 Patientinnen und Patienten im Jahr in Narkose mit Füllungen oder vorgefertigten Kronen versorgt. Dass es nicht mehr sind, liegt an fehlenden Betten, ausgelasteten OPkurz fürOperation-Sälen und dem Mangel an Pflegekräften sowie Narkoseärztinnen und -ärzten.

Monatelange Wartezeiten und kurzfristige Absage

Bundesweite Befragungen unter den Universitätskliniken haben ergeben, dass im Jahr 2022 Patientinnen und Patienten viereinhalb Monate auf einen Termin warten mussten, in manchen Kliniken sogar zwölf. Im Jahr 2009 waren es lediglich fünf bis acht Wochen.

Doch selbst, wenn in einer Klinik ein Termin vereinbart werden konnte, sei das keine Garantie dafür, dass die Behandlung wie geplant stattfindet, so Schilke. Termine würden immer wieder kurzfristig abgesagt, weil es sich um eine sogenannte Elektivleistung handelt. Das heißt, dass dringendere Fälle vorgehen.

Er berichtet auch davon, wie er regelmäßig von Station zu Station läuft, um ein freies Bett für seine Patientinnen und Patienten zu finden. Und von Fallpauschalen, die nicht reichen, um alle Kosten für Voruntersuchungen, Zahnbehandlungen, Narkose, Pflege, Medikamente und Geräte zu decken.

Das hat dazu geführt, dass nur noch wenige Kliniken eine solche Behandlung anbieten. Im Jahr 2009 gaben in einer Befragung fünf Prozent der teilnehmenden Kliniken an, nicht alle Patientinnen und Patienten, die eine Behandlung in Narkose benötigten, behandeln zu können. Im Jahr 2022 waren es dann 92 Prozent.

Kinder und Menschen mit Behinderung sind die Gruppe, für die wir uns starkmachen sollten. Diese Patientinnen und Patienten haben einen Anspruch darauf, genauso versorgt zu werden, wie jeder ohne Behinderung oder Erkrankung, und zwar zeit- und wohnortnah.

Dr. Reinhard Schilke, Oberarzt an der MHH

Versorgungslücke trifft Kinder, schwer Erkrankte und Menschen mit Behinderung

Die Leidtragenden sind die Patientinnen und Patienten. Verlässliche Daten, wie viele es sind, gibt es nicht. Die Versorgungslücke trifft vor allem sehr kleine Kinder, Menschen mit schweren Erkrankungen, mit Behinderungen und besonderem medizinischem Unterstützungsbedarf. Sie können oft nicht behandelt werden, wenn sie wach sind. Zudem stellen die Narkose und verschiedene Syndrome ein hohes medizinisches Risiko dar.

Es sind Menschen wie das Mädchen mit der Schmetterlingskrankheit oder der 30-jährige Mann mit der Schwerstmehrfachbehinderung, dessen Termin zweimal verschoben werden musste. Seine Mutter schrieb später an die MHH: „Wir kommen uns im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Spielball vor.“ Schilke empfiehlt Patientinnen und Patienten mit schlechten Erfahrungen, sich an die kassenzahnärztlichen Vereinigungen ihrer Bundesländer zu wenden.

„Kinder und Menschen mit Behinderung sind die Gruppe, für die wir uns starkmachen sollten“, sagt Schilke. „Diese Patientinnen und Patienten haben einen Anspruch darauf, genauso versorgt zu werden, wie jeder ohne Behinderung oder Erkrankung, und zwar zeit- und wohnortnah.“ Das bedeute auch, dass alles dafür getan wird, ihre Zähne zu erhalten, statt sie zu ziehen – selbst wenn das kostengünstiger und weniger zeitintensiv ist.

VdK fordert gute und barrierefreie Behandlung für alle

Derzeit erhalten Krankenhäuser eine Fallpauschale, die sich nach der Hauptdiagnose „Karies“ richtet. Erkrankungen, medizinische Risikofaktoren oder die Dauer der Behandlung spielen dabei fast keine Rolle. Schilke plädiert deshalb dafür, die Leistungen getrennt nach den Kosten für die Zahnbehandlung und den Kosten für die stationäre Betreuung zu vergüten.

Der Sozialverband VdK fordert, dass alle Patientinnen und Patienten einen guten, schnellen und barrierefreien Zugang zum Gesundheitswesen und einer Behandlung haben. Ihnen muss eine lückenlose medizinische und pflegerische Versorgung zur Verfügung stehen.

Erfahrungen gesucht

Haben Sie oder Ihre Angehörigen wegen einer schweren Erkrankung oder Behinderung auch schlechte Erfahrungen bei einer notwendigen Karies-Behandlung gemacht? Dann schreiben Sie uns gern an Externer Link:presse@vdk.de und schildern Sie Ihre Situation. Wir behandeln Ihre Angaben absolut vertraulich.