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Für viele Kinder ist Armut ein Dauerzustand

Von: Jörg Ciszewski

Soziale Ungleichheit in Deutschland verfestigt sich – Kinder aus finanziell schwachen Familien bleiben als Erwachsene oft arm

Ein Kind steht vor einem Plattenbau in Leipzig-Gruenau
© IMAGO / Thomas Eisenhuth

Mangelnde soziale Durchlässigkeit

Die mangelnde soziale Durchlässigkeit im Land ist ein Problem. Besonders betroffen sind Kinder, die in armen Haushalten aufwachsen. Ihre Zukunft ist oft schon programmiert. Das liegt an einem Bildungssystem, das Schwächere nicht ausreichend fördert, und dem Fehlen einer umfassenden politischen Strategie zur Bekämpfung von Kinderarmut.

Wer in Deutschland von Externer Link:Armut betroffen ist, dem gelingt eine soziale und wirtschaftliche Verbesserung heute viel seltener als noch vor einigen Jahrzehnten. In den 1980er-Jahren lag die Wahrscheinlichkeit, dass eine arme Person nach fünf Jahren weiterhin in Armut lebte, bei 40 Prozent. Laut dem 7. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2021 waren es zuletzt wesentlich mehr, nämlich 70 Prozent. Die Gefahr, dass sich Armut verfestigt, ist also gestiegen.

Prägende Erfahrungen

In armen Haushalten leiden insbesondere Kinder. Sie sind dieser Situation machtlos ausgeliefert. In Deutschland sind mehr als 2,8 Millionen Kinder von Armut betroffen oder bedroht. Für sie ist Armut eine prägende Lebenserfahrung: Sie wohnen oft beengt, haben keinen ruhigen Ort zum Lernen, können seltener befreundete Kinder nach Hause einladen oder seltener in Vereinen ihren Hobbys nachgehen als andere Kinder.

Dr. Irina Volf vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt am Main hat sich mit der Frage beschäftigt, wie groß für Kinder die Wahrscheinlichkeit ist, die Armut später hinter sich lassen zu können. In einer Externer Link:Langzeitstudie im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt wurden dafür die Lebensläufe von 900 Kindern zwischen 1997 und 2019 berücksichtigt. Das Ergebnis: Jedes dritte Kind, das mit sechs Jahren in Armut lebte, war auch im Alter von 25 Jahren weiterhin von Armut betroffen. Für jene, die die Armut überwinden konnten, waren Bildung und Erwerbstätigkeit die wichtigsten Faktoren. „Die Hälfte derer, denen der Ausstieg aus der Armut gelang, schaffte das am Übergang ins junge Erwachsenenalter“, erklärt Volf, die am ISS die Bereiche Armut und Radikalisierungsprävention leitet.

Doch zu oft ist das deutsche Bildungssystem eher eine Hürde als ein Sprungbrett für soziale Mobilität. „Bereits im Vorschulalter sind bei Kindern aus armen Familien gravierende Defizite in der Entwicklung von Sprache und Feinmotorik festzustellen. Diese lassen sich dann im Grundschulalter ohne zusätzliche intensive Unterstützung der Kinder oft nicht mehr beseitigen“, sagt Volf.

Das Portraitfoto zeigt VdK-Präsidentin Verena Bentele vor einem grauen Hintergrund.

In den Familien mangelt es an eigentlich selbstverständlichen Dingen, wie gesundem Essen, passender Kleidung und an Spielzeug.

Verena Bentele, VdK-Präsidentin

Ungleiche Chancen

Verschärfend wirken der Mangel an Kitaplätzen, kurze Betreuungszeiten, fehlende Ganztagsschulen und die frühe Trennung der Schülerinnen und Schüler in einem mehrgliedrigen Schulsystem. Im Ergebnis haben Akademikerkinder viel bessere Chancen auf einen Studienplatz und später auf dem Arbeitsmarkt als Kinder von Eltern mit geringen Einkommen.

Der Sozialverband VdK macht sich dafür stark, dass alle Kinder die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben. „Die soziale Herkunft darf nicht darüber entscheiden, welcher Schulabschluss gemacht wird“, erklärt VdK-Präsidentin Verena Bentele. Es brauche gute Ganztagsschulen mit kostenlosem Mittagessen und bedarfsgerechten Freizeitangeboten. „Wichtig ist zudem, dass die technische Ausrüstung für den Schulunterricht kostenlos bereitgestellt wird.“

Strategie gegen Armut

Der VdK kritisiert, dass familienpolitische Leistungen zu gering bemessen sind und nicht alle Familien erreichen, die das Geld brauchen. „Viel zu viele Kinder wachsen in Deutschland in realer Armut auf. Sie sind nicht nur häufig ausgeschlossen von Freizeitaktivitäten und Bildungsangeboten, sondern in den Familien mangelt es an eigentlich selbstverständlichen Dingen, wie gesundem Essen, passender Kleidung und an Spielzeug.“

Neben einer bedarfsgerechten sozialen Infrastruktur in den Kommunen und guten Bildungseinrichtungen ist eine solide finanzielle Unterstützung der Familien zentrale Voraussetzung für die Bekämpfung von Kinderarmut. „Es braucht eine umfassende Strategie gegen Kinderarmut, anstatt nach Haushaltslage Trostpflaster zu verteilen“, sagt Bentele.