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Flut negativer Informationen macht Angst

Von: Jörg Ciszewski

Der VdK sprach mit Prof. Dr. Isabelle Borucki, Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Philipps-Universität Marburg, über die aktuellen Sorgen der Menschen in Deutschland und wie man ihnen begegnen kann.

Eine junge Frau hat eine Atemschutzmaske über die Augen gezogen, so dass sie nichts sehen kann.
Seit der Covid-Pandemie sind Ängste, die die Gesundheit betreffen, angestiegen. © IMAGO / Westend61

Wovor haben die Menschen in Deutschland gegenwärtig am meisten Angst?

Prof. Dr. Isabelle Borucki: Die Menschen haben heute vor allem Angst vor wirtschaftlicher Unsicherheit, Klimawandel und Umweltkatastrophen, gesundheitlichen Bedrohungen, Kriminalität und Terrorismus sowie politischer Instabilität. Mit der neuen multiplen Krisenlage ist auch die Angst vor dem sozialen Abstieg gewachsen. Der Klimawandel und die damit verbundenen Umweltkatastrophen sind durch die zunehmende mediale Berichterstattung stark in den Fokus gerückt und verursachen wachsende Besorgnis. Die Covid-19-Pandemie hat die Gesundheitsängste verstärkt, da viele Menschen um ihre eigene Gesundheit und die ihrer Angehörigen fürchten.

Zudem bleibt die Angst vor Kriminalität und Terrorismus latent in der Bevölkerung präsent. Globale politische Spannungen und der Aufstieg populistischer Bewegungen tragen seit einiger Zeit ebenfalls zur Verunsicherung vieler Menschen bei.

Haben sich die Sorgen im Laufe der Zeit verändert?

Borucki: Ja. Während in den 1980er- und 1990er-Jahren der Kalte Krieg und die Gefahr von Atomkatastrophen die größten Ängste darstellten, sind heute wirtschaftliche Unsicherheiten, Umweltfragen und gesundheitliche Bedenken stärker ausgeprägt. Diese Verschiebung spiegelt die Veränderungen in der globalen und nationalen Situation wider sowie die Sensibilisierung für derartige Themen durch Medien und öffentliche Diskussionen.

Was macht die Menschen heute anfälliger für Ängste als früher?

Borucki: Die ständige Verfügbarkeit von Nachrichten und sozialen Medien führt oft zu einer Überflutung mit negativen Informationen, was das Angstempfinden verstärken kann. Die Reizüberflutung führt auch zu einer Überforderung dahingehend, dass die Menschen stärker das Bedürfnis nach Einordnung und Orientierung haben, das die sozialen Medien aber nicht erfüllen.

Hinzu kommt, dass technologische und gesellschaftliche Veränderungen sich schneller vollziehen als je zuvor, was zu Unsicherheit und einem Gefühl des Kontrollverlusts führt. Außerdem tragen unsichere Arbeitsmärkte und hohe Lebenshaltungskosten zur allgemeinen Angst bei. Dazu gehören vor allem die hohen Immobilien- und Mietpreise. Wohnen ist mancherorts unbezahlbar geworden.

Das Portraitfoto zeigt Prof. Dr. Isabelle Borucki
Professorin Isabelle Borucki hat eine Studie mit dem Titel „Die Ängste der Deutschen 2023“ durchgeführt. © IMAGO / Metodi Popow

Leben wir nicht verglichen mit anderen Zeiten in einem sicheren und wohlhabenden Land?

Borucki: Verglichen mit vielen anderen historischen Perioden leben wir in einer Zeit relativen Friedens, Wohlstands und technologischen Fortschritts. Wir leben unglaublich privilegiert – vor allem im Vergleich mit anderen OECD-Staaten oder weltweit. Statistisch gesehen leben heute viele Menschen sicherer und sind wohlhabender als je zuvor. Die Lebenserwartung ist gestiegen, die medizinische Versorgung hat sich deutlich verbessert, es gibt weniger kriegerische Konflikte.

Dennoch sind die Sorgen groß. Wie entstehen diese Ängste?

Borucki: Ängste entstehen oft durch eine Kombination aus realen Bedrohungen, intensiver Medienberichterstattung und individuellen Erfahrungen. Faktoren wie persönliche Unsicherheiten, Stress und frühere traumatische Erlebnisse spielen eine wesentliche Rolle. Medien können durch ihre Fokussierung auf negative Nachrichten und dramatische Ereignisse das Angstempfinden verstärken.

Wie lässt sich der Entstehung dieser Ängste vorbeugen?

Borucki: Gut informierte Menschen können Ängste besser einordnen und verarbeiten. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit Informationen hilft, irrationalen Ängsten entgegenzuwirken. Zudem kann ein starkes soziales Netzwerk mit Familie und Freunden und in Vereinen Ängste reduzieren helfen und emotionale Rückendeckung in schwierigen Zeiten bieten.

Wie könnten Vertrauen und Zuversicht neu entstehen?

Borucki: Das Erleben von Erfolg und positiven sozialen Beziehungen stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Dazu gehört das Erleben, von der Politik wahr- und ernstgenommen zu werden. Dazu braucht es klare, verlässliche politische und soziale Strukturen, die ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen in die Zukunft schaffen. Dieses Vertrauen fehlt momentan, wie Studien zeigen.

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