Erster Schritt auf dem langen Weg zur Inklusion
Von der vollen gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist Deutschland noch weit entfernt. Doch seit die UN-Behindertenrechtskonvention gilt, werden die Defizite klar benannt und deren Beseitigung angemahnt.
VdK: Menschen mit Behinderung sind keine Bittsteller mehr
Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) wird die Achtung gleicher Rechte von Menschen mit Behinderung zur Verpflichtung. In Deutschland gilt das Übereinkommen seit 15 Jahren – am 26. März 2009 trat es in Kraft. In der Konvention werden die bereits anerkannten allgemeinen Menschenrechte aus anderen UN-Übereinkommen für die Situation von Menschen mit Behinderung konkretisiert. Ziel ist es, Menschen mit Behinderung vor Ausgrenzung und Diskriminierung zu schützen. Angestrebt wird eine gleichberechtigte Teilhabe in sämtlichen Lebensbereichen.
Regelmäßige Prüfung
Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, auf bestehende Barrieren hinzuweisen und auf deren Beseitigung zu drängen. Dafür prüft ein UN-Fachausschuss aus 18 Expertinnen und Experten weltweit die Umsetzung der Konvention. Das Gremium veröffentlicht das Ergebnis der Prüfung in den „Abschließenden Bemerkungen“ und weist darin ausdrücklich auf bestehende Mängel hin.
Deutschland wurde 2023 zum zweiten Mal vom Fachausschuss geprüft. Der Abschlussbericht mahnt beispielsweise an, dass Barrieren im Gesundheitswesen beseitigt und Menschen mit Behinderung medizinische Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen. VdK-Präsidentin Verena Bentele weist auf die Konsequenzen dieses Missstandes hin: „Die fehlende Barrierefreiheit in Arztpraxen führt dazu, dass die freie Arztwahl von Menschen mit Behinderung massiv eingeschränkt ist.“
Ein weiterer Kritikpunkt des Ausschusses ist die mangelnde Umsetzung inklusiver Bildung in Deutschland, auch weil Lehrkräfte für die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern mit Behinderung oft unzureichend geschult sind.
„Es ist wichtig, dass durch die Prüfungen des UN-Fachausschusses immer wieder die Defizite konkret benannt werden“
, sagt Bentele. „Es müssen aber auch Taten folgen. Wir schauen ganz genau hin, dass im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und im Antidiskriminierungsgesetz Verbesserungen für die Situation von Menschen mit Behinderung geregelt werden.“
Dank der UN-BRK werde der Blick geschärft für die vielen Bereiche, in denen Menschen mit Behinderung benachteiligt werden. So finden diese Themen Einfluss in die öffentliche Diskussion und die Gesetzgebung. „Früher wurde Behinderung eher medizinisch und daher defizitorientiert betrachtet. Mittlerweile hat ein Perspektivwechsel stattgefunden: Menschen mit Behinderung werden durch ihre Umwelt an der gleichberechtigen Teilhabe gehindert, sie sind aber keine Bittsteller mehr, sondern ihre in der UN-BRK festgeschriebenen Rechte gilt es zu gewährleisten und zu schützen“
, erklärt Bentele.
Chancengleichheit
Die Konvention deckt grundsätzlich alle Lebensbereiche ab – vom Recht auf Gesundheit, Bildung und Beschäftigung, Barrierefreiheit bis hin zum Recht auf Nicht-Diskriminierung, Chancengleichheit, selbstbestimmte kulturelle und politische Teilhabe.
„Behinderungen sind die Folge davon, dass die Umgebung nicht auf die Menschen abgestimmt ist, dass Unterstützung fehlt, Rehabilitation sich verzögert oder notwendige Hilfsmittel versagt werden, dass der Zugang zu Informationen oder zu Beratungen bei rechtlichen Entscheidungen fehlt“
, zählt Bentele auf. „Der VdK macht sich dafür stark, diese Ungerechtigkeiten, von denen in Deutschland ungefähr 10,3 Millionen Menschen mit anerkannter Behinderung betroffen sind, zu beseitigen.“