Kategorie Sozialrecht

Berufskrankheit PTBS: VdK erreicht Revision beim Bundessozialgericht

Von: Jörg Ciszewski

Ein traumatisierter Leichenumbetter klagt mit Unterstützung des VdK gegen die Ablehnung der Berufsgenossenschaft. Das Urteil wird nun im Rahmen Revision durch das Bundessozialgericht überprüft.

Außenansicht des Bundessozialgerichts in Kassel
Erfolg für den VdK: Das Bundessozialgericht wird im Rahmen der Revision das Urteil der Vorinstanz prüfen. © VdK

VdK legt erfolgreich Nichtzulassungsbeschwerde ein

Jahrelang hat ein Mann für eine große Organisation als Leichenumbetter in Mittel- und Osteuropa Tote exhumiert. Als er in der Folge an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erkrankte und erwerbsunfähig wurde, lehnte seine Berufsgenossenschaft ab, die PTBS als Berufskrankheit beziehungsweise als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen (mehr dazu auf dieser Seite unten im Infokasten). Klagen gegen diese Ablehnung blieben in den Vorinstanzen erfolglos.

Das Landessozialgericht (LSG) hatte eine Revision beim Bundessozialgericht (BSGkurz fürBundessozialgericht) zunächst abgelehnt. Doch eine Nichtzulassungsbeschwerde der Bundesrechtsabteilung des Sozialverbands VdK war erfolgreich, obwohl die Aussichten auf Annahme regelmäßig sehr gering sind. Im Jahr 2023 hatten nur knapp elf Prozent der Beschwerden Erfolg. Das Bundessozialgericht (BSGkurz fürBundessozialgericht) überprüft nun im Rahmen der Revision das Urteil der Vorinstanz. 

Das Portraitfoto zeigt Holger Lange.

Mit dem Verfahren (…) soll diese wegweisende Rechtsprechung auch für andere Berufungsgruppen geöffnet werden, die hohen psychischen Arbeitsbelastungen ausgesetzt sind. Wir rechnen mit einer Entscheidung des BSGkurz fürBundessozialgericht spätestens in 2025.

Holger Lange, Kommissarischer Leiter der VdK-Bundesrechtsabteilung

Arbeitsunfähig erkrankt

Der im Jahr 1963 geborene Kläger war in den Jahren 1993 bis 2005 als Leichenumbetter von Weltkriegstoten sowie von Opfern der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren tätig. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Gebeine der Toten mit Schaufel und Bagger aus den Grabanlagen zu bergen, Alter und Geschlecht zu bestimmen sowie Körperbau, Größe und gefundene Gegenstände zu protokollieren und fotografisch zu dokumentieren. Seit dem Jahr 2005 war er arbeitsunfähig erkrankt. Die Beschäftigung endete 2008 mit einem Vergleich. Seit dem Jahr 2011 bezieht der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Im Jahr 2017 wandte er sich an die Berufsgenossenschaft und trug vor, durch seine langjährige Tätigkeit sei es bei ihm zu gesundheitlichen Störungen mit einer lebenslangen Behinderung gekommen.

Keine gesicherten Erkenntnisse

Die Berufsgenossenschaft lehnte ab, seine Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen, weil psychische Erkrankungen wie eine PTBS nicht in der Berufskrankheiten-Liste aufgeführt sind. Seine Erkrankung könne auch nicht als „Wie-Berufskrankheit“ behandelt werden. Seine Klage blieb ohne Erfolg, weil Sozialgericht und Landessozialgericht keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Umbetters und die Erkrankung an einer PTBS erkannten. 

Erstmals psychische Erkrankung als Berufskrankheit eingestuft

In ihrer beim BSGkurz fürBundessozialgericht eingereichten Revision bezieht sich die Bundesrechtsabteilung des VdK nun auf ein Externer Link:Urteil des Gerichts vom 22. Juni 2023. Das BSGkurz fürBundessozialgericht hatte entschieden, dass eine PTBS bei der Berufsgruppe der Rettungssanitäter als „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden kann. Denn Rettungssanitäter seien im Vergleich zur übrigen Bevölkerung einem erhöhten Risiko ausgesetzt, an PTBS zu erkranken. Dieser Ursachenzusammenhang ergab sich für das Gericht aus international anerkannten Diagnosesystemen sowie den Leitlinien der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften. Damit hatte das BSGkurz fürBundessozialgericht erstmals eine psychische Erkrankung als Berufskrankheit eingestuft. 

Auch für den Fall des Leichenumbetters lässt sich laut den VdK-Juristen ableiten, dass durch die regelmäßig traumatisierenden Ereignisse, denen dieser während seiner Tätigkeit ausgesetzt war, eine PTBS als Wie-Berufskrankheit anzuerkennen ist. Die ständige Konfrontation mit dem Tod, die besonders grausamen Auffindesituationen der Leichen an Kriegsschauplätzen oder in Massengräbern führe zu wiederholten extrem psychisch-traumatisierenden Belastungen, so die Begründung. 

„Wegweisende Rechtsprechung“

Der kommissarische Leiter der Bundesrechtsabteilung des VdK, Holger Lange, tritt den Kritikern an der neuen Rechtsprechung des BSGkurz fürBundessozialgericht entgegen: „Auf die Anerkennung einer psychischen Erkrankung musste lange gewartet werden. Erst im Verfahren des Rettungssanitäters auf Anerkennung einer PTBS wurde erstmals eine psychische Erkrankung als Berufskrankheit nach langem Rechtsstreit durch das Bundessozialgericht zugunsten der Beschäftigten anerkannt. Mit dem Verfahren des Leichenumbetters soll diese wegweisende Rechtsprechung auch für andere Berufungsgruppen geöffnet werden, die hohen psychischen Arbeitsbelastungen ausgesetzt sind. Wir rechnen mit einer Entscheidung des BSG spätestens in 2025.“

Info: Was bedeutet "Wie-Berufskrankheit"?

Als Wie-Berufskrankheit wird ein Krankheitsbild bezeichnet, das noch nicht offiziell als Berufskrankheit anerkannt ist. Ist der Ärztliche Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse der Auffassung, die Bundesregierung sollte eine Krankheit zusätzlich in die Liste der Berufskrankheiten aufnehmen, gibt der Beirat eine entsprechende Empfehlung ab. Auch wenn die Bundesregierung dieser Empfehlung folgt, vergehen bis zur tatsächlichen Umsetzung oft einige Jahre.

In diesem Zeitraum müssen die Berufsgenossenschaften die neue Krankheit wie eine Berufskrankheit - also als „Wie-Berufskrankheit“ - behandeln.

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