Kategorie Aktuelle Meldung Gewaltfreiheit für Frauen Behinderung

Barrieren abbauen, Zugänge schaffen

Von: Julia Frediani

Unter dem Titel „Barrieren erkennen – Barrieren abbauen – Zugänge schaffen“ fand Anfang Juni der Fachtag der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) in Berlin statt.

Das Foto zeigt einen ausgestreckten Arm mit geballter Faust vor gelbem Hintergrund.
© IMAGO / Pond5 Images

Fachtag über sexualisierte Gewalt gegen Menschen mit Behinderung

Rund 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschten sich beim Fachtag über inklusive Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderungen, die sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend erleben und erlebten, aus. Katrin Schwedes und Tamara Luding von der Externer Link:BKFS erklären im Interview mit dem VdK, warum Prävention so wichtig ist.

Höheres Risiko als nicht-behinderte Menschen

Julia Frediani, VdK: Menschen mit Behinderung sind einem erheblich höheren Risiko ausgesetzt, sexualisierte Gewalt zu erfahren. Warum?

Katrin Schwedes: Aufgrund unterschiedlicher Faktoren sind Menschen mit Behinderung einem höheren Risiko sexualisierter Gewalterfahrungen ausgesetzt. Behinderungen schaffen Abhängigkeitsverhältnisse zum Pflegepersonal, Eltern und Vormündern. Dadurch wird das Sprechen und Bekanntmachen von sexualisierten Gewalterfahrungen erschwert. Insbesondere, wenn sich diese im sozialen Nahfeld oder Pflegeumfeld ereignen. Zusätzlich bestehen weniger Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme zu Vertrauenspersonen oder Fachberatungsstellen, die durch die Isolation von Menschen mit Behinderung weiter eingeschränkt werden. Schließlich fehlt es auch an Sexualaufklärung. Damit werden Grenzverletzungen für Menschen mit Behinderung schwerer identifizier- und benennbar.

Wo passieren sexuelle Übergriffe? Es sind ja meistens nicht Unbekannte, die übergriffig werden.

Schwedes: Sexuelle Übergriffe passieren überall! Auch bei Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung findet sexualisierte Gewalt in unterschiedlichen Kontexten, wie zum Beispiel pädagogischen Institutionen, in der Familie, im Sportverein, in der Kirchengemeinde, statt. Eine Behinderung macht erst einmal keinen Unterschied bei der Gewaltform und dem Kontext. Allerdings sind Menschen mit Behinderung zusätzlichen Gefährdungen in Pflegesituationen durch medizinische und pflegende Fachkräfte ausgesetzt.

Das Portraitfoto zeigt Katrin Schwedes.
Katrin Schwedes, Projektleitung der BKSF © BKSF

Weniger Hilfe und Beratung

Das Portraitfoto zeigt Tamara Luding
Tamara Luding, Referentin für Aufbau und Vernetzung © BKSF

Prävention ist bei diesem Thema besonders wichtig. Was sollte man als Mensch mit Behinderung oder auch als Angehöriger dazu wissen?

Tamara Luding: Sexuelle Bildung bei Menschen mit Behinderungen ist heute noch tabubehaftet. Sexualität wird Menschen mit Behinderung häufig immer noch abgesprochen. Das ist Diskriminierung und verhindert Aufklärung und Prävention. Ein Bewusstsein und die entsprechende Sprache sind zentral, um Grenzverletzungen kommunizieren zu können. Zudem müssen Menschen, die sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend erleben und erleben mussten, über Unterstützungs- und Beratungsangebote informiert werden. 

Fachleute wissen, dass Menschen mit Behinderung sich weniger häufig Hilfe holen und sich beraten lassen. Wieso ist das so?

Luding: Darüber haben wir mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an unserem Fachtag diskutiert. Die ambulante Kommunikationsstruktur – Betroffene sollen sich bei Fachkräften melden – funktioniert beim Thema sexualisierte Gewalt nicht gut. Außerdem ist „Hilfe holen“ von der sogenannten Mehrheitsgesellschaft heraus gedacht. Wenn Bewegungsräume durch gesellschaftliche Umstände und die Umwelt eingeschränkt werden, ist es schwierig „Hilfe zu holen“

Aktuell existieren immer noch zu wenige Angebote für Menschen mit Behinderung. Leider sind bestehende Beratungs- und Unterstützungsangebote oft nicht auf die Beratung von Menschen mit Behinderung eingestellt, zum Beispiel bei Sprachbarrieren durch fehlende Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetscher. Solche Barrieren zu erkennen und entsprechende Zugänge zu schaffen, ist wichtig.

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