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70 Prozent der Berechtigten beantragen keine Grundsicherung im Alter

Von: Julia Frediani

Rechtsberaterinnen und Rechtsberater im Sozialverband VdK wissen aus langjähriger Erfahrung: Viele Mitglieder hätten Anspruch auf Sozialleistungen, beantragen sie aber nicht. Wie kann man das ändern?

Eine ältere Frau verbirgt ihr Gesicht in den Händen, die Geste wirkt beschämt
© IMAGO / Zoonar.com /Robert Kneschke

70 Prozent beantragen keine Grundsicherung im Alter

Fachleute gehen beispielsweise davon aus, dass 70 Prozent der anspruchsberechtigten Menschen die Grundsicherung im Alter nicht beantragen – obwohl sie ihnen zustehen würde. Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältig. Häufig sind bei den Anträgen die bürokratischen Hürden hoch, die finanziellen Verhältnisse werden von den Ämtern penibel durchforstet. Eine solche Prüfung von Einkommen, Vermögen und Wohnkosten beschämt viele Menschen, da sie ihre ganzen persönlichen Verhältnisse offenlegen müssen. 

Gefühl als Bittsteller dazustehen

Dazu kann man sich in dieser Lage als Bittstellerin oder Bittsteller fühlen – und wird häufig auch so behandelt. Das passt vielen Menschen, die oft ein arbeitsreiches Leben hinter sich haben, nicht in ihr Selbstbild. Viele realisieren dabei, dass ihr jahrzehntelanges Arbeiten sie nicht vor Altersarmut schützt. 

Lange waren Betroffene es gewohnt, für den eigenen Lebensunterhalt und womöglich für den der Kinder zu sorgen – da ist die Erkenntnis, dass das Geld im Alter nicht reicht, sehr bitter. Hinzu kommt, dass Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen gesellschaftlich in der öffentlichen Diskussion abgewertet werden. Das zeigt sich an der andauernden Debatte rund ums Bürgergeld. Niemand möchte zu dieser viel gescholtenen Gruppe gehören.

Ein weiteres Beispiel für eine Sozialleistung, die viel zu wenig in Anspruch genommen wird, ist das Wohngeld. Mit seiner Reform im vergangenen Jahr ist die Anzahl der Berechtigten erheblich angestiegen. Nach Meinung von Fachleuten ist immer noch nicht bekannt genug, dass deutlich mehr Menschen Wohngeld erhalten könnten. Dazu  kommt, dass die Antragsstellung teilweise sehr kompliziert ist. Was viele Menschen von der Beantragung des Wohngelds häufig auch abschreckt, sind die langen Bearbeitungszeiten. Abhängig von der Personalausstattung und der Organisation der einzelnen Wohngeldstellen können die Bearbeitungszeiten von drei Monaten bis – bei Extrembeispielen – zu zwölf Monaten betragen.

VdK fordert automatische Auszahlung

VdK-Präsidentin Verena Bentele fordert daher: „Ziel sollte sein, dass Sozialleistungen bei einem Anspruch automatisiert ausgezahlt werden. Dies wäre über eine negative Einkommenssteuer möglich und würde einen Antrag überflüssig machen. Bis dahin müssen die Verfahren vereinfacht werden. Die Anträge müssen kürzer und leichter verständlich gemacht werden.“

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